Es gibt kaum etwas unintuitiveres als Wahrscheinlichkeiten. Beispiel gefällig?
1) Leute kommen ins Kino, alle 100 Plätze sind ausgebucht. Jeder geht zu dem auf seiner Karte vermerkten Platz. Ist der frei, setzt er sich auf seinen Platz. Ist der nicht frei, will er niemanden stören und setzt sich auf einen anderen, freien Platz. Der erste Kinobesucher kann nicht lesen und setzt sich auf irgend einen Platz. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der letzte, der rein kommt, auf seinem Platz sitzt?
Spoiler zu ""Lösung"": (anzeigen)
50 %. Das ist übrigens unabhängig von der Anzahl der Plätze, solange es mindestens 2 sind.
2) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, das zwei Leute auf einem Fußballfeld (23 Personen) am gleichen Tag im Jahr Geburtstag haben?Spoiler zu ""Lösung"": (anzeigen)
Etwa 50 %. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Spieler am selben Tag Geburtstag hat wie der Schiedsrichter beträgt übrigens nicht einmal 6 %.
3) Bei D&D3.x ist es so, dass der Angreifer mit „W20+Angriff“ würfelt und mindestens „10+Rüstungsklasse“ des Verteidigers erreichen muss. Gelingt der Angriff, verursacht der Spieler eine gewisse Menge Schaden, z.B. 1W6. Der Spieler kann nun eine Waffe bekommen, die entweder +2 auf Angriff macht oder den Schaden um 1 erhöht, d.h. W6+1 Schaden verursacht. Was ist besser?Spoiler zu ""Lösung"": (anzeigen)
Es zählt der mittlere Schaden pro Runde, denn das ist es, was den Gegner „runterklopft“. Dabei kommt es drauf an, wie groß die Rüstungsklasse ist.
* Nehmen wir an, die Rüstungsklasse eines „normalen“ Gegners ist um 1 höher als der Angriff, d.h. der Angriff gelingt ab einer gewürfelten 11 (also 50 %). Ein W6 verursacht im Schnitt 3,5 Schaden, das macht pro Runde 1,75 Punkte Schaden.
* +2 auf Angriff bedeutet, die Wahrscheinlichkeit erhöht sich auf 60 %. Macht pro Runde 2,1 Schaden.
* +1 auf Schaden bedeutet, der Schaden erhöht sich auf 4,5 bei einem Treffer. Macht pro Runde 2,25 Schaden.
Häfig sind die Gegner aber schwerer zu treffen (gerade bei mächtigen Einzelgegnern), sagen wir ab einer 18 (also 15 % Trefferchance), also 0,525 Schaden/Runde. +2 auf Angriff: 0,875 Schaden/Runde. +1 auf Schaden: 0,675 Schaden/Runde.
Es lohnt sich also, je nach Gegner unterschiedliche Waffen zu führen.
Letztendlich müssen im Spiel die Zahlen aber irgendwoher kommen, und in praktisch jedem Spiel bedeuten die Zahlen irgendwelche Würfe und Wahrscheinlichkeiten, die sich nach sich ziehen (ja, Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel).* Nehmen wir an, die Rüstungsklasse eines „normalen“ Gegners ist um 1 höher als der Angriff, d.h. der Angriff gelingt ab einer gewürfelten 11 (also 50 %). Ein W6 verursacht im Schnitt 3,5 Schaden, das macht pro Runde 1,75 Punkte Schaden.
* +2 auf Angriff bedeutet, die Wahrscheinlichkeit erhöht sich auf 60 %. Macht pro Runde 2,1 Schaden.
* +1 auf Schaden bedeutet, der Schaden erhöht sich auf 4,5 bei einem Treffer. Macht pro Runde 2,25 Schaden.
Häfig sind die Gegner aber schwerer zu treffen (gerade bei mächtigen Einzelgegnern), sagen wir ab einer 18 (also 15 % Trefferchance), also 0,525 Schaden/Runde. +2 auf Angriff: 0,875 Schaden/Runde. +1 auf Schaden: 0,675 Schaden/Runde.
Es lohnt sich also, je nach Gegner unterschiedliche Waffen zu führen.
Ich sehe zwei Möglichkeiten, mit den Zahlen umzugehen und sie aus dem Hut zu ziehen:
1. Die Spieler sehen Bedeutungen in den Zahlen und wählen sie nach diesen Bedeutungen aus. Sie wissen nicht genau, wie sich die Zahlen im Spiel auswirken, erkennen höchstens Tendenzen. ("Hoch ist gut")
2. Die Spieler werten die Wahrscheinlichkeiten aus und wählen die Zahlen, die ihnen am Besten in den Kram passen: Spieler optimieren ihre Spielfigur, der Spielleiter sucht optimal passende Herausforderungen.
Wenn man also nicht „Stochastik – das Rollenspiel“ spielen möchte, braucht man ein Spiel, bei dem es bei 2. nicht zu wilden Rechnereien kommt. Oder … Betrachten wir dazu die beiden Spiele, mit denen ich mich recht gut auskenne: D&D und DSA.
a) D&D. Die Regeln sind sehr einfach (W20+Wert >= Zielwert). Jeder kapiert sofort, was ein +1 auf einen Wert bedeutet (Chance +5 Prozentpunkte). Ein +1 auf ein Attribut ist toller als ein +1 auf eine Fertigkeit, weil es sich auf viele Werte auswirkt. Jeder kann schnell überblicken, welches Attribut für ihn wie viel bedeutet. Die größte Schwierigkeit ist die Frage „Schaden“ vs. „Trefferchance“ – die wird aber durch die Regeln in den Standardfällen nicht zugelassen, denn ein +1 auf Schaden geht meist mit einem +1 auf Treffen einher (d.h. man hat entweder nur +1 auf Treffen, oder +1 auf Treffen und Schaden). Für den SL gibt es recht brauchbare Regeln, anhand von Werten die passenden Herausforderungen zu ermitteln.
Die Bedeutung der Werte steht an zweiter Stelle. Das heißt nicht, dass ein Spieler keine Vorstellung von den Werten hätte, aber es ist mehr eine Folge aus der spieltechnischen Bedeutung.
b) DSA. Die Regeln sind kompliziert: Im Kampf modifiziert Rüstung den Schaden, die Verteidigung kommt noch oben drauf. Jede Probe basiert fast immer auf drei oder mehr Eigenschaftswerten. Kaum einer blickt durch, wie sich die Wahrscheinlichkeiten wirklich ändern, wenn man einen Wert erhöht. Die wenigsten Spieler ermitteln ihre Charakterwerte nach dem, was es bringt, sondern zumeist nach dem, was es bedeutet. Spieler wählen Töpfern als Fertigkeit, weil ihr Charakter töpfern können soll (auch wenn sie es im Spiel nie verwenden werden).
Die Wahrscheinlichkeiten und spieltechnishcen Auswirkungen der Werte stehen bei DSA an zweiter Stelle. Das bedeutet jetzt nicht, dass sie nicht interessieren. Aber sie sind doch zumeist eher eine Folge der Vorstellung und nachträgliche Optimierung als Triebfeder.
Gerade auch als SL hat man Probleme, vernünftige Herausforderungen zu stellen. Selbst wenn man viel Zeit hat und investiert – die Spielfiguren unterscheiden sich sehr stark voneinander. Obwohl also DSA so komplizierte Regeln hat, geht kaum einer hin und rechnet aus, ob es jetzt besser ist, seine Punkte in Intuition oder in Magie zu versenken. Weil das quasi unmöglich ist.
Dumm nur, wenn die Regeln eines Rollenspiels irgendwo dazwischen fallen: Sie sind weder einfach noch kompliziert genug. Durch Rechnereien bekommt man vieles hin, manches vielleicht nicht. Auf jeden Fall hat derjenige, der viel rechnet, bessere Chancen als einer, der dies nicht tut. Zudem ist dann nicht klar, was die Spieler als Grundlage ihrer Werteauswahl wählen sollen: bei den Wahrscheinlichkeiten (=den Auswirkungen) oder in der Vorstellung?
Es gibt also zwei Möglichkeiten, Rechenorgien gezielt zu verhindern.
(i) Erstens kann man es einfach genug machen, so dass jeder die Auswirkungen sofort erfassen kann. Dann spielen die Kenntnis der genauen Wahrscheinlichkeiten keine wirkliche Rolle mehr für alle Spieler, auf für den SL. Im Idealfall gibts einfach zu begreifende Richtlinien, um Herausforderungen an die Spieler anzupassen und spannende Spielabende zu gestalten.
(ii) Zweitens macht man es kompliziert genug, so dass niemand eine Chance hat, die Auswirkungen zu erfassen. In diesem Fall kann man die Zahlenregeln aber eigentlich ganz aufgeben (z.B. Engel) oder zumindest durch ein ganz simples System ersetzen (SEUCOR, es gibt nichts Einfacherers). Denn Zahlen sind ja eignetlich nur ein schlechtes Hilfsmittel, um Eigenschaften und Fähigkeiten zu beschreiben.
In jedem Fall bin ich aber der Meinung, dass kein Spieler über die genauen Wahrscheinlichkeiten Bescheid wissen müssen sollte.