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4.5.2011, 21:50
Dom

Was bisher geschah…

Wir hatten uns zunächst Gedanken darüber gemacht, was Wahrscheinlichkeit überhaupt ist. Es misst irgendwie die Sicherheit, die Gewissheit, in welchem Maße ein Ereignis eintritt. Ereignis, das war der zweite Begriff. Etwas beobachtbares, ein Geschehen, von dem man sagen kann: Jawoll, jetzt ist es eingetreten. Und die Wahrscheinlichkeit misst, mit welcher Sicherheit man das Ereignis beobachten kann.

Dabei bedeutet eine Wahrscheinlichkeit von 1: Das Ereignis tritt sicher ein. Das ist die maximale Wahrscheinlichkeit, mehr ist nicht drin. Und auch bei einer Wahrscheinlichkeit von 0 können wir uns sicher sein: Das Ereignis wird nicht eintreten.

Spoiler zu "fast sicher": (anzeigen)

Wissende werden sagen: Das stimmt so nicht; es muss „fast sicher“ heißen. Ja, richtig, ich weiß. Damit will ich aber niemanden belasten, zumindest jetzt noch nicht. Für Würfel ist das so, wie ich es beschrieben habe, schon genau richtig. Aber es gibt ja auch noch eine Welt außerhalb von Würfeln…
Und wir hatten festgestellt: Wenn sich Ereignisse nicht überlappen, dann darf man die Wahrscheinlichkeiten einfach addieren.

In Kurzschreibweise kann man folgendes schreiben (mit P=Probability=Wahrscheinlichkeit):
0 <= P(Ereignis) <= 1
P(Ereignis1 + Ereignis2) = P(Ereignis1) + P(Ereignis2)

Elementarereignisse und Wahrscheinlichkeitsräume

Ich möchte das mit den überlappenden Ereignissen noch mal genauer auf die Reihe kriegen. Wenn ich sage: „Ich werfe mit dem W6 eine gerade Zahl“, dann ist das ein Ereignis, welches ich auch beschreiben kann als: „Ich werfe mit dem W6 eine 2, eine 4 oder eine 6“. Ich kann also quasi das Ereignis zerlegen, nämlich in die Zahlen 2, 4 und 6. Und auf so eine Art und Weise können viele Ereignisse zerlegt werden.

Und wenn man solche Ereignisse zerlegt, stößt man auf die Atome der Ereignisse, die man nicht mehr teilen kann. Also beispielsweise „Ich würfele eine 6“. Das kann ich nicht mehr zerlegen (zumindest nicht, wenn mich nur die Augenzahl des Würfels interessiert). Solche Ereignisse nenne man Elementarereignisse.

Wenn man nun irgendwelche sinnvollen vergleichenden Aussagen über Wahrscheinlichkeiten machen möchte (und wer will das nicht?), dann müssen die Ereignisse sich aus denselben Atomen aufbauen. Eine Aussage wie „Es ist wahrscheinlicher, dass ich jetzt mit dem W100 eine 14 würfele, als dass ich morgen eine gelbe Hose anziehe“, mag zwar illustrieren, dass das mit der gelben Hose sehr unwahrscheinlich ist. Aber letztendlich leben die Dinge mathematisch in unterschiedlichen Welten und die Wahrscheinlichkeiten dürfen nicht addiert werden, auch wenn die Ereignisse offenbar nichts gemeinsam haben.

Anmerkung am Rande:

Das ist es auch, was Thimorn an meinem ersten Posting so gefährlich fand: Ich habe Dinge in Bezug gesetzt, die in unterschiedlichen Realitäten leben. Der interessierte Leser möge sein Posting und die anschließende kurze Diskussion nochmals lesen. Sofort!
Weil es oft recht schwierig ist, was man überhaupt an Ereignissen in Betracht zieht, ist es meist am einfachsten, alle Elementarereignisse aufzuzählen und zu sagen: Darüber reden wir jetzt, das liegt in unserem Betrachtungshorizont. Die Menge aller Elementarereignisse heißt Wahrscheinlichkeitsraum (ich werde dieses Wort-Monster in Zukunft mit W-Raum abkürzen).

Bei Würfeln ist dieser W-Raum klar. Der W6 hat als W-Raum die Menge {1,2,3,4,5,6}. Der W20 die Menge {1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20}. In anderen Fällen ist der W-Raum schwieriger zu bestimmen (z.B. Würfeln mit 2W6) oder quasi unmöglich ("Denk dir eine beliebige Zahl aus").

Das Ereignis nun, dass sagt: „Es tritt irgendein Elementarereignis ein“, tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 ein. Hier haben wir einen ersten Realitätscheck eingebaut: Wenn das nicht sichergestellt ist, dann ist unser Wahrscheinlichkeitsraum blöd gewählt.

Besonders angenehm sind jetzt W-Räume, bei denen die Gleichverteilungsannahme (GVA) gilt. Das bedeutet, wir können den Elementarereignissen allen dieselbe Wahrscheinlichkeit zuordnen. Das coole ist jetzt, dass der W-Raum dann mathematisch egal ist, es kommt nur auf die Anzahl der Elementarereignisse an. Denn sagen wir mal, wir haben einen W-Raum mit x Elementen. Wir wissen, in der Summe muss die Wahrscheinlichkeit 1 ergeben und außerdem sollen alle Wahrscheinlichkeiten gleich sein. Dann muss also die Wahrscheinlichkeit gerade 1/x sein.

Konkretisieren wir das: Den meist benutzten W-Raum eines W6 habe ich ja oben schon hingeschrieben. {1,2,3,4,5,6}. Das sind 6 Elemente. Da wir von einem tollen Würfel ausgehen und es praktisch auch bei allen Abweichungen eigentlich keinen Unterschied macht, nehmen wir die GVA an und kommen auf eine Wahrscheinlichkeit von 1/6, also etwa 16,6667 %.

Und warum sind W-Räume mit GVA cool? Weil sich damit einfach rechnen lässt. Denn wir brauchen nur die Elementarereignisse zu zählen, die zu dem Ereignis gehören, das uns interessiert.

Okay, ich glaube, das hier ist schon wieder lang genug. Das mit den DSA-Talentproben können wir uns mit diesem Wissen beim nächsten Mal ausführlich anschauen. Zum Schluss möchte ich noch eine kleine Übung anregen, über die wir im weiteren Verlauf diskutieren können.

Übung: Gib für folgende Experimente sinnvolle W-Räume an, in denen man die GVA annehmen kann:
a) Zwei Personen würfeln je 1W6, die Ergebnisse sollen miteinander verglichen werden
b) 2W6
c) Eine Karte wird aus einem Skatblatt (32 Blatt) gezogen
d) Zwei Karten werden aus einem Skatblatt gezogen
4.5.2011, 21:52
Dom
Btw, folgende Teile sind geplant:

Teil 4: Die DSA-Talentprobe
Teil 5: Exkurs: Die Abbildung der Realität in mathematischen Modellen
4.5.2011, 22:10
Der Mönch
Alle Daumen hoch Dom! :) Danke!
4.5.2011, 23:01
Thimorn

Zitat von Dom:

Das ist es auch, was Thimorn an meinem ersten Posting so gefährlich fand:
Was heißt hier gefährlich? Ich fand es „didaktisch gelungen“.

Da es gerade um Didaktik ging. Diesmal finde ich, hättest du das Beispiel mit dem Wahrscheinlichkeitsraum der Würfel vorziehen sollen, und dann erst die allgemeinen Abhandlungen. Aber auch wieder nur eine kleine Anmerkung. Ansonsten finde ich alles ok und schön anschaulich. Das werden dir die weniger in Statistik versierten sicher ebenfalls bestätigen können.
15.5.2011, 00:05
Dom
Zur Lösung der Aufgabe (die offenbar ja niemand gemacht hat):

a) Zwei Personen würfeln je 1W6, die Ergebnisse sollen miteinander verglichen werden
Hier haben wir zwei W6, die unabhängig voneinander gewürfelt werden. Daher haben wir praktisch zweimal eine Gleichverteilung, jeweils auf jedem der W6. Daher ist es vernünftig, alle Kombinationen von Ergebnissen als gleichwahrscheinlich anzunehmen. Damit kommen wir auf Elementarereignisse {(1,1), (1,2), (1,3), …, (1,6), (2,1), (2,2), …, (2,6), …, (6,1), (6,2), …, (6,6)}. Insgesamt sind das 6*6=36 Elemente. Dabei muss die richtige Reihenfolge eingehalten werden. Also: Vorne ist der eine Würfel, hinten der andere. Nicht umgekehrt.
Damit hat jedes dieser Ergebnisse eine Wahrscheinlichkeit von 1/36.

b) 2W6
Auch hier haben wir zwei W6, diese werden aber zusammen gewürfelt und die Ergebnisse addiert. Trotzdem dürfen wir nicht auf 2, …, 12 die GVA anwenden. Denn man kann experimentell leicht zeigen, dass ein 2 wesentlich seltener ist als eine 7.

Denkt man genauer drüber nach, dann sind die Würfel nämlich doch auch unabhängig. Dass sie gleichzeitig gewürfelt werden und dann addiert werden, ist für die Würfelergebnisse egal. Daher können wir wie in a) argumentieren und die 36 Paare der Würfel als Wahrscheinlichkeitsraum nutzen.

Im Übrigen könnte man noch sagen: „Die beiden Würfel kann ich aber nicht unterscheiden, sie sehen exakt gleich aus! Wie soll ich also die beiden Würfel eindeutig dem vorderen oder hinteren Ergebnis zuordnen?“ Die Antwort hierzu ist recht leicht, denn beide Würfel sind ja physikalisch unterschiedliche Körper und somit unterscheidbar. Um das Unvermögen zur Unterscheidung zu überwinden, können beide Würfel einfach getrennt geworfen werden.

c) Eine Karte wird aus einem Skatblatt (32 Blatt) gezogen
Der Wahrscheinlichkeitsraum mit GVA besteht aus 32 Elementen, nämlich aus Herz-7 bis Kreuz-Ass. Jede Karte wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/32 gezogen.

d) Zwei Karten werden aus einem Skatblatt gezogen
Schwierig. Man hat ja zwei Karten, aber immer eine bestimmt, welche Karten überhaupt noch für die zweite übrig bleiben. Das bedeutet, wir können nicht hingehen und einfach wie in a) und b) einfach das Ziehen der beiden Karten zu Pärchen zusammenzufassen. Dafür bräuchte man zwei Skatblätter.

Aber das Pärchen bilden erscheint trotzdem sinnvoll. Die erste Karte ist eine aus den 32. Die zweite Karte ist dann auch eine aus den 32, aber eben nicht die erste. Beide Auswahlen sind zufällig und bis auf die erste Karte unabhängig voneinander. Daher nehmen wir alle möglichen Pärchen als Wahrscheinlichkeitsraum. Das sind gerade 32 für die erste Karte multipliziert mit 31 für die zweite Karte, also 992 Möglichkeiten.

Wir können mit diesen Überlegungen eine GVA auf den 992 Pärchen machen, also jedes Pärchen mit 1/992 bewerten.
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